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Da stehen die Gerichte davor

Wie die Musikindustrie (nicht) an die Daten der Tauschbörsennutzer gelangt

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Die Musikindustrie hat schon seit Jahren immer dasselbe Problem. Das Problem hat viele Namen. Allen gemein ist, dass es sich um Einrichtungen im Internet handelt, die gemeinhin als Tauschbörsen bezeichnet werden. Die Täter, die sich dort zu Millionen tummeln, gilt es zu bekämpfen (auch wenn es zufälligerweise zugleich die eigenen Kunden sind). Dummerweise agieren diese Täter alle inkognito, sie scheuen die offene Konfrontation und verstecken sich hinter geheimnisvollen Nummern, die die Internetkundigen als IP-Adressen bezeichnen.

Um an die Personendaten zu gelangen, bedarf es eines juristischen Kunstgriffes. In Amerika dienen dazu die Klagen gegen "Jon Doe", in Österreich einfallslos "unbekannter Täter" genannt. In diesem Verfahren soll das Gericht mit seiner Autoriät und - gegebenenfalls - auch mit Hilfe gesetzlicher Bestimmungen vom Internetprovider des Täters aufgrund der Angabe seiner IP-Adresse zum Zeitpunkt der Tat die Bekanntgabe der Identität des Täters fordern; alles vorausgesetzt, der Provider war nicht so "kooperativ", dass er sich von vorneherein der Autorität des Musikkonzerns und dessen Anwaltes gebeugt hat.

Offensichtlich nehmen die Provider ihre vertraglichen und nebenvertraglichen Verpflichtungen aber ernst. Das kann man nicht hoch genug schätzen, verwalten sie doch eine unermessliche Menge an persönlichen Daten aller Internetnutzer, darunter vielfach höchst sensible Daten, deren Missbrauchspotential die Spitzelaffäre zur Kindergartenintrige verkommen lässt. Das berührt nicht nur das Grundrecht auf Datenschutz, sondern auch das Grundrecht auf Privatsphäre und auf das Fernmeldegeheimnis. Der Grundrechtschutz ist in Österreich zwar traditionell ein sehr theoretischer, die Möglichkeiten des Internet führen uns aber seine Bedeutung neu vor Augen (nicht zuletzt deswegen wird Internet4jurists in Kürze den Grundrechten ein eigenes Kapitel widmen).

Nun gibt es also Provider, die lassen es darauf ankommen, dass ihnen das Gericht aufträgt, die Daten herauszugeben. Und noch besser: Sie fechten den Beschluss auch noch an und tragen das Rechtsproblem an die Instanz heran. Nachdem sich die Musikindustrie auf diese Weise bereits vereinzelt in Amerika bei Gerichten eine Abfuhr geholt hat, passierte ihr das nun auch in Deutschland und Österreich.

Das Oberlandesgericht München entschied kürzlich, dass Provider Nutzerdaten beim Verdacht auf Betrieb illegaler FTP-Server auf Grund des Urheberrechts nicht preisgeben müssen; das Landgericht hatte noch für das Musiklabel entschieden.

Die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (immerhin das größte Strafgericht in Österreich) änderte ebenfalls einen Beschluss der ersten Instanz (Untersuchungsrichter) ab, der dem Herausgabebegehren der Rechtevertreter stattgegeben hatte. Interessant ist hier die, wenn auch nicht besonders ausführliche, Begründung. Nach Ansicht der Ratskammer ist die Bekanntgabe von Stammdaten betreffend eine dynamische IP-Adresse (über 90 Prozent aller Internetnutzer surfen mit einer solchen) eine Rufdatenrückerfassung, die nur unter den Voraussetzungen des § 149a ff StPO zulässig ist. Die Bestimmungen des UrhG stellen keine ausreichende rechtliche Basis für ein Auskunftsbegehren dar (eine Meinung, die ich hier auf Internet4jurists schon immer vertreten habe).

Wo liegt das Problem? Das Zurverfügungstellen von urheberrechtlich geschützten Werken im Internet (nur um diese Fälle des "Uploads" geht es bei den Gerichtsverfahren) ist unzweifelhaft rechtswidrig und auch strafbar (§ 91 UrhG in Verbindung mit § 86 UrhG). Müssen und sollen diese Täter geschützt werden?

Unsere Rechtsordnung besteht aus einem Gefüge von höherwertigen und geringerwertigen Rechten. Man nennt das auch "Stufenbau der Rechtsordnung". In diesem Stufenbau steht beispielsweise der Schutz bestimmter Grundrechten höher als der Schutz von Eigentum oder auch geistigem Eigentum. Keines dieser Rechte kann aber absoluten Schutz beanspruchen, nicht einmal das Recht auf Leben (auch eine Tötung kann durch Notwehr oder Nothilfe gerechtfertigt sein). Wird bei der Verfolgung eines Rechtes ein anderes Recht gleicher oder anderer Stufe beeinträchtigt, muss es zu einer Angemessenheitsprüfung kommen. Diese kann entweder bereits vom Gesetz vorgegeben oder vom Gericht im Einzelfall zu treffen sein. So darf etwa nicht wegen eines Bagatelldeliktes die Untersuchungshaft verhängt werden.

Durchbrechungen des Grundrechtsschutzes müssen genau gesetzlich geregelt sein. So ist dies auch beim Datenschutz und beim Schutz der Privatsphäre und des Fernmeldegeheimnisses. Nun kann sich die Musikindustrie seit einiger Zeit auf eine Bestimmung im Urheberrechtsgesetz stützen, die durch die UrhG-Novelle 2003 (dem Lobbying sei Dank) in das Gesetz eingefügt wurde. Nach dem neuen § 87b Abs. 3 UrhG "haben Vermittler im Sinn des § 81 Abs. 1a UrhG dem Verletzten Auskunft über die Identität des Verletzers zu geben". Durch umfangreiche Auslegung dieser Bestimmung kann man zum Schluss gelangen, dass zu diesen Vermittlern auch Internetprovider zählen. Abgesehen von der Problematik, dass Ausnahmen vom Grundrechtsschutz eng auszulegen sind, heißt das aber noch lange nicht, dass die Provider alle ihre Daten herauszugeben haben. Gerade nach der Qualität dieser Daten richtet sich nämlich das Schutzniveau. Wird man etwa der Frage unter welcher Adresse ein namentlich bekannter Kunde geführt wird, geringes Schutzniveau zubilligen können, betrifft die Frage, welche Internetseiten der Kunde in den letzten Tagen konsumiert hat, eindeutig den Inhalt der Kommunikation und genießt daher höchstes Schutzniveau.

Das Gesetz, im speziellen die Bestimmungen der §§ 149a ff StPO, tragen diesem unterschiedlichen Schutzniveau Rechnung. Gewisse Überwachungshandlungen (unter Überwachung versteht man auch eine nachträgliche Auswertung von aufgezeichneten Daten) sind bereits zulässig bei Delikten, die mit mehr als 6 Monate Freiheitsstrafe bedroht sind, andere hingegen erst bei Strafdaten, die mit mehr als 10 Jahren bedroht sind. Bei Bagatelldelikten - und dazu gehören die Urheberrechtsdelikte, soweit nicht Gewerbsmäßigkeit im Spiel ist (auch wenn das die Musikindustrie nicht wahrhaben will und demonstrativ die Strafbarkeit via Werbung auf Raubniveau anheben will), gibt es gar keine Überwachung und damit auch keine Auskunftspflicht. Eine Durchbrechung des Grundrechtsschutzes ist in diesen Fällen einfach nicht gerechtfertigt. Darauf hat die Ratskammer auch bereits hingewiesen.

Die Musikindustrie wird sicher weiter versuchen, an die begehrten Daten zu gelangen. Es bleibt zu hoffen, dass unter dem Eindruck dieser Entscheidung alle Provider standhaft bleiben und die Auskunftswilligen an die Gerichte verweisen und dass die Gerichte weiter den Grundrechtsschutz hoch halten. Sie stehen in diesem Punkt in letzter Zeit ohnedies unter strenger Beobachtung, weil im Österreich-Konvent die Frage aufgetaucht ist, ob die Gerichte den Grundrechten die gebührende Aufmerksamkeit widmen. Der Verfassungsgerichtshof fühlt sich auf diesem Gebiet kompetenter und beansprucht eine Überkompetenz auch über den Obersten Gerichtshof. Wenn das zu keiner Sensibilisierung führt ....

Neben dem steinigen Weg über die Gerichte haben die Rechtevertreter allerdings auch wieder den bequemeren Weg über den (EU-)Gesetzgeber gefunden. In der letzten EU-Richtlinie zum Urheberrecht (Rechte-Durchsetzungs-RL oder IP-Enforcement Directive), die bis längstens 29.4.2006 in nationales Recht umzusetzen ist, ist wieder ein Auskunftsrecht enthalten. Allerdings kann sich auch die EU nicht über die Grundrechte hinwegsetzen. Auch dieses Auskunftsrecht wird daher nicht absolut wirken, sondern ist im gesamten Kontext der Rechtsordnung auszulegen. Sollte daher die mediale Abschreckungskampagne nicht den gewünschten Erfolg bringen, wird man neue Wege finden müssen. Vielleicht eine Allianz mit den Terrorbekämpfern, um gemeinsam allzu lästige Grundrechte zu Fall zu bringen? Ansätze gibt es genug.

22.12.2004

Siehe auch:

Nachtrag vom 7.3.2005: Leider war die Einschätzung unserer Gerichtsbarkeit doch etwas zu optimistisch; siehe: Auszählreime.

Franz Schmidbauer

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