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Das Anti-Web-Gesetz

Wie das Mediengesetz Österreich zu einem Volk von (noch) Medieninhabern macht

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Am 1. Juli 2005 tritt das neue Mediengesetz in Kraft. Die Änderungen betreffen vor allem das Internet und haben dort für große Unruhe gesorgt. Sosehr der Wille des Gesetzgebers verständlich ist, gewisse Wildwüchse im Internet einzudämmen, sosehr ist die generelle Ausweitung des Mediengesetzes auf die Dienste des Internets unpassend, überschießend und internetfeindlich. Man kann sich über weite Strecken des Eindruckes nicht erwehren, für die Gesetzesautoren bestehe das Web vor allem aus Naziseiten, Kinderpornographieforen, Ehrenbeleidigungen und den elektronischen Angeboten der Massenblätter. Dabei liegt eine gewisse Ironie in dem Umstand, dass es gerade die konventionellen Medien sind, die immer wieder diesen Eindruck schüren, indem laufend über vermeintliche oder tatsächliche Schattenseiten der verschiedenen Dienste des Internet berichtet wird.

Dass die tägliche Realität der virtuellen Welt eine gänzlich andere ist und diese der realen Welt auch in den guten Dingen des Lebens in nichts nachsteht, braucht hier nicht betont zu werden. Jeder, der diesen Text liest, erlebt dies täglich selbst in den Weiten des suchmaschinenerhellten Cyberspace.

In der Folge greife ich nur einige Problembereiche heraus:

Das Gesetz verunsichert den Online-Bereich und trifft die Falschen

Wie üblich treffen derartige Maßnahmen die Falschen. Idealistische Website-Betreiber, die viel Mühe in Dinge investieren, die für Tausende andere nützlich sind, fühlen sich überfordert und denken ans Zusperren. Die "Bösen" denken nicht daran und kümmern sich einfach nicht um die neuen Vorschriften. Ausweichen heißt die Devise. Mit einer .info- oder sonstigen internationalen Domain und einem Server auf den Antillen droht relativ wenig Ungemach. Die österreichische Polizei hat ohnedies schon zu erkennen gegeben, dass in Zeiten ständiger Personaleinsparung keine Kräfte zur Verfolgung von "Impressum-Sündern" abgestellt werden könnten ( ORF-Artikel v. 19.5.2005). Also lassen sie das Gesetz Gesetz sein.

Das Gesetz ist wirtschaftsfeindlich

Der Host-Markt, also das Bereitstellen von Webspace für eigene Veröffentlichungen, ist sehr beweglich.  Es ist für den User völlig egal, ob der Server, wo er seine Inhalte veröffentlicht, in Österreich, in Amerika oder sonstwo steht. Der Preisnachteil, den die österreichischen Provider aufgrund der geringeren Zahlen haben, wird dadurch noch größer. Das Gesetz bleibt zwar auch dann anwendbar, wenn der Webhost des österreichischen Site-Betreibers im Ausland steht, aber die Ausforschbarkeit wird zum Problem; ein Verstoß gegen medienrechtliche Vorschriften wird so kaum geahndet werden.

Das Gesetz basiert auf einer medienfeindlichen Tradition

Eine gewisse feindselige Haltung gegenüber den Medien hat in Österreich Tradition. Das spiegelt sich schon im Mediengesetz selbst wider, wo sofort der Gegensatz zwischen den salbungsvollen Worten der Präambel und dem überwiegenden Regelungsinhalt des Gesetzes auffällt. In der Einleitung geht es um das Recht auf freie Meinungsäußerung und die volle Freiheit der Medien, im Gesetz selbst entsprechen dem am ehesten noch die §§ 2 bis 5; der Rest sind Ansprüche gegen die Medien, nur teilweise gemildert durch Haftungsbeschränkungen, die bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt eingeräumt werden. Und die wird natürlich sehr streng beurteilt.

Auch das ist ein Kapitel des traurigen Umganges mit den Grund- und Freiheitsrechten in Österreich. Auch die österreichischen Gerichte sind leider keine Hüter von Staatsgrundgesetz und EMRK; der Weg zum OGH, der das vielleicht noch sein könnte, ist vielfach abgeschnitten. Dass es eine Grundrechtsbeschwerde nur bei Entzug der Freiheit gibt, nicht aber bei allen anderen Eingriffen in verfassungsmäßig gewährleistete Rechte, zeigt deutlich, wie der Gesetzgeber dazu steht; die Praxis der notorisch überlasteten Gerichte ist nicht viel besser. Dass in diesem Milieu Politiker, die selbst alles andere als zimperlich in ihrer Wortwahl sind, kritische Medien mit Hilfe des Mediengesetzes zum Schweigen bringen können, erinnert an längst vergangene Epochen.

Das Gesetz basiert auf einem negativen Medienbild

Bei der Beurteilung von Mediensachen scheint ständig der Fall gegenwärtig zu sein, in dem ein - tatsächlich Unschuldiger - von einem Massenblatt nach allen Regeln der Kunst "fertig gemacht" und so besudelt wird, dass ihn kein Gericht der Welt mehr reinwaschen kann. Tatsächlich hat es solche Fälle schon gegeben. Gerade dieses Beispiel zeigt aber die Diskrepanz zwischen einer Tageszeitung mit einer Auflage von Hunderttausenden Stücken und einem durchschnittlichen Website-Betreiber oder E-Mail-Versender. Den Internet-Medien fehlt in der Regel die Medienmacht, die der eigentliche Grund für die gesetzliche Knebelung im konventionellen Medienbereich ist. Die weltweite Abrufbarkeit täuscht darüber hinweg, dass die tatsächliche Besucherzahl in der Regel gering ist. Bei der konventionellen Presse geht es um ein enormes Ungleichgewicht: Hier der arme Geschädigte, der keine Möglichkeit einer Gegenwehr hat, und dort das millionenschwere Massenblatt mit angestellten "Tätern", die sich hinter dem Redaktionsgeheimnis verstecken und damit nicht greifbar sind. Der typische Website-Betreiber ist das genaue Gegenteil.

Das Gesetz macht Online-Publizierende unnötigerweise zu Medieninhabern

Wo besteht im Internet eine Notwendigkeit, einen Medieninhaber zu schaffen und diesen mit möglichen Ansprüchen zu überhäufen? Richtig: Bei den Online-Seiten der konventionellen Medien. Bei allen anderen Internet-Diensten ist das normativer Overkill, Einschüchterung, Technologiefeindlichkeit; es ist schlicht unangemessen. Der Website-Betreiber muss sowieso für den Inhalt seiner Website den Kopf hinhalten. Er sollte aber abgesehen von den diversen Unterlassungsansprüchen, denen er ohnedies ausgesetzt ist, doch bitte nur bei Verschulden für Geldansprüche haften. Es gibt hier keinen aus den laufenden Masseneinnahmen gespeisten Haftungsfonds, aus dem Ansprüche Dritter befriedigt werden können. Die Masse der Website-Betreiber müssten Geldansprüche aus ihren sonstigen Berufseinkünften bezahlen. Wer kann dieses Risiko in Zukunft auf sich nehmen?

Der durchschnittliche Website-Betreiber kann es sich auch nicht leisten, auf die Rechte zu pochen, die ihm das Mediengesetz verleiht. Er hat nicht die finanziellen Möglichkeiten, sich in einem Medienverfahren zur Wehr zu setzen, auch wenn die Erfolgsaussichten günstig wären. Da er aus dem Webauftritt in der Regel keine Einnahmen erzielt, ist bereits das Führen eines in der Regel teuren Prozesses ein Problem. Die komplizierte Rechtsprechung macht eine Vorhersage über den Ausgang sowieso meistens unmöglich. Der Slogan "jedem sein Recht" ist nur graue Theorie. Alleine der Umstand, dass der Online-Publizierende zum Medieninhaber wird, ist daher eine gefährliche Drohung.

Das Gesetz schränkt den Anwendungsbereich dort ein, wo es den Website-Betreibern nichts bringt

Offenbar war dem Gesetzgeber selbst nicht recht wohl bei dem Gedanken, alle Websites dem Mediengesetz zu unterstellen. Deshalb hat er versucht, die Masse der "gewöhnlichen" Websites ohne Meinungsbeeinflussungstendenz zumindest teilweise auszunehmen.

Dieser Versuch muss aber als gründlich misslungen angesehen werden. Einserseits ist die Abgrenzung so wage, dass wirklich nur sehr einfache Websites von der Art "Hallo Welt, hier bin ich" und die reinen Kommerzseiten eindeutig unter die Einschränkung fallen. Andererseits bringt die Einschränkung dem Websitebetreiber kaum eine Erleichterung:

1. Die Gegendarstellungspflicht berührt Websites, die keinen über die Darstellung des persönlichen Lebensbereiches oder die Präsentation des Medieninhabers hinausgehenden Informationsgehalt aufweisen, ohnedies nicht. Wer soll hier schließlich eine Gegendarstellung begehren? Eine Gegendarstellung ist nur dann möglich, wenn ein Dritter durch die Berichterstattung nicht bloß allgemein betroffen ist (§ 9), setzt also voraus, dass über Dritte berichtet wird und nicht bloß über die eigene Person.

2. Die Einschränkung bei der Offenlegungspflicht (§ 25 Abs. 5) ist in der Praxis keine Erleichterung. Beteiligungsverhältnisse (§ 25 Abs. 2) und andere Medienunternehmen (§ 1 Abs. 1 Z 6) des Websitebetreibers  ( § 25 Abs. 3) gibt es in der Regel bei Website-Betreibern nicht und die Offenlegung der grundlegenden Richtung ( § 25 Abs. 4) wäre bei den meisten Websites höchstens ein Belustigungsfaktor und tut keinem Website-Betreiber weh. Was aber sehr wohl sehr vielen Online-Schreibern weh tut, ist die Bekanntgabe von Name und Wohnort. Das trifft vor allem die Kleinsten, die sich nicht hinter einer Gesellschaft oder einem Verein verstecken können.

Genau betrachtet, ist die Gegendarstellung das einzige Institut des Mediengesetzes, das auch bei Internetmedien Sinn macht. Wenn ein Dritter in der Online-Öffentlichkeit in seinen Rechten verletzt wird, soll er dort auch die Möglichkeit der Entgegnung bekommen.

Das Gesetz stellt Online-Publizierende unnötig bloß

Der Gesetzgeber geht offenbar von dem Gedanken aus, dass jeder, der etwas öffentlich sagt, auch seine Identität offenlegen muss. Das Recht auf Meinungsäußerung war aber bisher nicht an die Nennung von Name und Wohnort gebunden, das Gesetz muss daher auch als grundrechtswidrig angesehen werden, weil die Ausnahme, die für die Printmedien gedacht war, für die meisten Online-Publikationen nicht gilt, weil dahinter keine Medienmacht liegt, die es offenzulegen gälte.

Es ist zwar richtig, dass die Offenlegungspflicht den meisten Website-Betreibern egal sein kann, weil sie ohnedies mit viel weitergehenden persönlichen Daten als Domaininhaber im WHOIS-Register stehen oder weil sie als kommerzielle Dienste von der Informationspflicht nach § 5 ECG betroffen sind. Es gibt aber darüber hinaus zigtausend Webpublikationen, für die diese Argumente nicht gelten, wie etwa diverse Hobby-Sites, Fan-Gemeinschaften, Spiele-Foren, Selbsthilfe-Sites, Weblogs, Webcams u.a., die nicht unter eigener Domain betrieben werden und daher bisher anonymes Publizieren zuließen. Als Beispiel sei etwa die Site http://www.derlangeweginslicht.de herausgegriffen. Wenn Name und Wohnort verlangt werden, muss diese Site zusperren.

Das Gesetz ist der Tod für spontanes Publizieren

Die Meinungsäußerung im Internet hat viel weitreichendere Folgen als die Meinungsäußerung in einer Menschenansammlung, mag sie noch so groß sein. Während das gesprochene Wort innerhalb kurzer Zeit vergessen ist, dauert das schriftlich niedergelegte Wort fort. Das ist sicherlich auch einer der Hintergründe des Mediengesetzes. Die Situation im Internet ist aber eine gänzlich andere als bei den Printmedien. Im Internet hat jedermann die Möglichkeit zur Meinungsäußerung, ohne dass er dazu wesentliche finanzielle Mittel einsetzen müsste. Dafür kann er sich aber auch nicht hinter einem Zeitungsverlag verstecken. Er ist und bleibt selbst verantwortlich.

Allen Online-Publizierenden vorzuschreiben, sich ein Namensschild umzuhängen, nur weil die Gefahr besteht, dass durch Einzelne  die Rechte Dritter verletzt werden, ist unverhältnismäßig. Es ist zur Erzielung des gewünschten Zweckes - Verfolgung von Rechtsverletzungen - nicht erforderlich. Auch wenn der Autor nicht Namen und Wohnort angibt, ist er über seinen Hostprovider, der bei Rechtsverletzungen zur Auskunft verpflichtet ist, ausforschbar. Die Anonymität ist also genau dort durchbrechbar, wo es die Verfolgung von Rechtsverletzungen erfordert. Eine Notwendigkeit für eine vorbeugende Offenlegung ist nicht gegeben.

Durch das Gesetz besonders betroffen, ist die Blogger-Szene. Ein Internet-Tagebuch mit Namen und Wohnort ist wohl nur etwas für den Geschmack weniger. Dieser Dienst ist auch ein Beispiel, wie unsinnig das Mediengesetz im Internet ist. Nachdem Weblogs häufig meinungsbeeinflussend sein können, wäre eine volle Offenlegung und die Möglichkeit von Gegendarstellungen notwendig. Die "grundlegende Richtung" kann aber hier wohl nur heißen "meine Meinung" und eine "Gegendarstellung" in Form eines Diskussionsbeitrages ist sowieso jederzeit möglich und erwünscht. Wozu also dieses Gesetz?

Das Gesetz missachtet das Bedürfnis nach Anonymität

Ein ganz wesentliches Merkmal des Internets und einer der Schlüssel zu seinem Erfolg ist die Interaktivität in Form eines spontanen Gedankenaustausches unter Wahrung der Anonymität. Geradezu typisch ist das Agieren unter Pseudonym. Im Diskussionsforum der Richtervereinigung hat vor kurzem ein Gast geschrieben: "Wenn in einem Forum meine Daten verlangt werden, bin ich schon weg". Mehr ist nicht dazu zu sagen.

Das Internet hat aber auch ein langes Gedächtnis. Stellen Sie sich vor, ein 17-Jähriger schreibt sich in einem Weblog den Frust von der Seele. Zehn Jahre später gibt sein potentieller Arbeitgeber seinen Namen in eine Suchmaschine ein und schaut sich an, was der Jobanwärter so im Laufe der Zeit von sich gegeben hat - nicht nur unter dem Aspekt des Datenschutzes ein Horrorszenario! In diesem Punkt gehen die Möglichkeiten der Durchleuchtung einer Person viel weiter als im Printbereich. Es ist fast unmöglich, mit vertretbarem Aufwand festzustellen, was jemand im Laufe seines Lebens auf Papier geschrieben hat. Im Internet genügt ein Wort und ein Klick. Daher ist es notwendig, die Anonymität im Internet zu schützen und nicht zu verhindern. Ein Staat, der diese Anonymität verbietet, setzt seine Bürger heute noch völlig unabsehbaren Gefahren aus.

Das Gesetz bedarf der sinnvollen Auslegung

Aber vielleicht wird auch nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht wurde. Eine großzügige Auslegung des Gesetzes nach dem tieferen Zweck der Norm, die auch noch berücksichtigt, dass eine Einschränkung des Grundrechtes der freien Meinungsäußerung nur dort zulässig ist, wo es der Schutz Dritter erfordert, könnte das Schlimmste verhindern. Es ist offenkundig, dass der Gesetzgeber an viele Dinge nicht gedacht hat. Juristisch wird in solchen Fällen im Wege der Analogie erwogen, wie das Gesetz aussehen würde, wenn diese Dinge berücksichtigt worden wären. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Gesetzgeber auf die Offenlegung bei normalen Websites, Weblogs und ähnlichen Foren verzichtet hätte. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass niemandem etwas passieren wird, wenn er einfach weiterhin anonym bleibt - solange er nichts anstellt. Aber das muss jeder selbst entscheiden.

4.6.2005 (Nachtrag 6.6.2005)

Franz Schmidbauer

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